Interview mit Taina Bofferding in der Revue

"Gleichheitsprinzip vorleben"

Interview: Revue (Heike Bücher)

Revue: Brauchen wir noch immer einen Frauentag?

Taina Bofferding: Der Weltfrauentag ist wichtig, weil er die Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme bietet. Außerdem ist der Frauentag auch ein Anlass, jungen Frauen zu erklären, woher die Rechte kommen, die sie heute haben. Die sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern erkämpft worden. Letztes Jahr wurde das Frauenwahlrecht in Luxemburg 100 Jahre alt, das war ein guter Aufhänger, um mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen und ihnen zu zeigen, dass es Menschen gab, die sich dafür eingesetzt haben, dass Frauen wählen dürfen.

Revue: Haben Sie das Gefühl, dass der Frauentag viele junge Menschen erreicht?

Taina Bofferding: Wenn ich mir die Veranstaltungen anschaue, die zum Frauentag organisiert werden, habe ich schon das Gefühl, dass diese immer mehr Menschen anziehen.

Revue: Wie schätzen Sie die Situation von Frauen im Großherzogtum ein?

Taina Bofferding: Betrachtet man das rezente Ranking des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen, braucht Luxemburg noch 308 Jahre für eine echte Gleichstellung der Geschlechter. Wenn wir in dem Tempo weitermachen. Das ist natürlich extrem lang und sollte uns alle anspornen, aktiv zu werden. Wenn man die Zahl hört, denkt man, dass bislang nichts passiert ist, aber das stimmt nicht. Es sind schon viele Dinge erreicht worden. Das Gleichstellungsministerium gibt es seit 25 Jahren, die Gleichstellung der Geschlechter ist in unserer Gesetzgebung und Verfassung verankert. Jetzt müssen wir sie nur auch in unseren Alltag integrieren und dafür sorgen, dass sie Realität wird.

Revue: Wo hakt es denn da?

Taina Bofferding: Ein großer Aspekt sind die Stereotypen, Vorurteile, Klischees und der Sexismus, die in unserer Alltagsstruktur verankert sind. Deshalb legen wir viel Wert darauf, mit jungen Menschen zusammenzukommen. Gerade den Jungen muss man das Gleichheitsprinzip vorleben. Kinder müssen von klein auf lernen, dass Geschlecht keine Rolle spielen darf, dass sich jeder frei entfalten kann, und jeder in seinen Talenten gefördert wird. Wir müssen von den Geschlechtereinteilungen und dem Schubladendenken wegkommen. Ein Junge hat keinen bestimmten Weg, weil er ein Junge ist. Ein Mädchen auch nicht.

Revue: Gibt es einen Unterschied für Frauen mit luxemburgischem Pass gegenüber denen, die nicht Luxemburgerinnen sind?

Taina Bofferding: Es sind vor allem Unterschiede zwischen den sozialen Milieus zu sehen. Das ist nicht nur eine Gender-Frage. Wenn man schaut, welche Kinder im klassischen oder im allgemeinen Sekundarunterricht sind, dann sieht man, dass es eher eine Frage ist, aus welchen Familien sie stammen. Das zeigt, dass wir die Chancengleichheit in der Schule intensiver angehen müssen, um die Unterschiede zu beseitigen.

Revue: Mit sozialen Milieus meinen Sie auch die Nationalität?

Taina Bofferding: Ich wohne in Esch und da gibt es Viertel, in denen mehr Luxemburger wohnen, und andere, in denen weniger wohnen. Für eine Gemeinde ist es wichtig, von vorneherein aufzupassen, dass eine Mischung stattfindet, damit wir später keine Schulen haben, in denen sich verschiedene Nationalitäten und soziale Milieus gar nicht mehr treffen.

Revue: Das hängt doch schon an den Immobilienpreisen...

Taina Bofferding: Eine Gemeinde kann in Bezug auf den Wohnungsbau Initiative ergreifen.

Revue: Welche Baustellen und konkrete Ziele sehen Sie in Ihrem Amt als Gleichstellungsministerin?

Taina Bofferding: Ein großes Thema dieses Jahr ist der Abbau von Stereotypen. Gemeinsam mit einer jungen Studentin haben wir eine Broschüre und Videoclips entwickelt, die zeigen, dass man sich nicht in Stereotypen und Schubladen reindrücken lassen muss. Dann sind wir dabei, ein Programm für unsere Actions Positives zu erstellen. Das ist gedacht für Firmen, mit dem sie einen gezielten Aktionsplan aufstellen können, um die Gleichstellung in ihrem Betrieb zu fördern. Zudem feiert das Ministerium dieses Jahr seinen 25. Geburtstag, dieser wird in einer zweiten Ausgabe des Rock de Rack 'gefeiert. Ein weiteres Thema, an dem wir arbeiten, ist häusliche Gewalt. Da haben wir eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, um existierende Programme in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Akteuren auszuweiten oder zu verbessern.

Revue: Wo sind die Grenzen des Staates und der Gesetze in Bezug auf Gleichstellung der Geschlechter?

Taina Bofferding: Für uns ist die Gleichstellung der Geschlechter so wichtig, dass wir sogar ein eigenes Ministerium dafür haben. So können wir uns intensiv damit beschäftigen, um Akzente zu setzen und Programme zu entwickeln. Außerdem arbeiten wir sehr viel mit anderen Ministerien zusammen. Gleichstellung ist ein Thema, dass viele Bereiche des Lebens betrifft. Es ist nichts Elitäres, sondern ein fundamentaler Wert unseres Zusammenlebens und für unsere Demokratie. Natürlich sind die Herausforderungen andere als noch vor 50 Jahren, aber es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen. Es gibt immer noch Leute, die meinen, wir sollten in die guten alten Zeiten zurückgehen. Deshalb müssen wir auch zeigen, dass wir uns die Rechte, die wir haben, nicht wegnehmen lassen. Das ist eine klare Aussage, die wir auch als Regierung machen.

Revue: Frauen verdienen in den meisten Sparten für die gleiche Arbeit noch immer weniger Geld. Weil in Luxemburg jedoch viele Frauen im Schuldienst tätig sind und hohe Beamtengehälter bekommen, fällt das in den Statistiken nicht so auf. Was kann die Gesetzgebung gegen das geschlechtsspezifische Lohngefälle (Gender Pay Gap) tun?

Taina Bofferding: Hat sie schon genug getan oder gibt es noch Spielraum? Es ist schon mal gut, dass wir das Gesetz haben, dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden müssen. Frauen und Männer haben zudem das Recht, dieses Gehalt einzuklagen. Wichtig ist die Sensibilisierung, einerseits auf Seiten der Arbeitnehmer, aber andererseits auch auf Seiten der Betriebe. Mit dem Programm Actions Positives stellen wir Betrieben Instrumente zur Verfügung, mit denen sie überprüfen können, ob es in ihrer Lohnstruktur Differenzen gibt. Viele Betriebe sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie welche haben. Lohngleichheit ist ein Punkt, ein anderer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das interessiert immer mehr Leute, weil sie gerne mehr Flexibilität und Zeit hätten. Ein weiterer Punkt sind die Karrierechancen, die Frauen haben. Leider kommen in Luxemburg zu wenige Frauen in verantwortungsvolle Posten. Da müssen wir in die Betriebe schauen und gucken, warum das so ist, ob das eine bewusste Entscheidung ist oder innerhalb der Struktur des Betriebes einfach eine Hürde besteht.

Revue: Auch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sind Frauen unterrepräsentiert. Wie könnte der Frauenanteil in Forschung, Lehre und Industrie erhöht werden?

Taina Bofferding: Auch da müssen wir bei den jungen Leuten ansetzen. Kinder müssen in ihren Talenten gefördert werden und schon früh lernen, dass ihr Geschlecht bei der späteren Berufswahl keine Hürde sein darf. Da gibt es aber bereits interessante Projekte. Wir vom Ministerium stellen uns auch immer zum Weltfrauentag ein Thema, dieses Jahr ist es die Digitalisierung. Da gehen wir zum Beispiel in ein Lyzeum und haben auch junge Start-Ups und Betriebe eingeladen, um einen Austausch herzustellen. Es geht darum, jungen Frauen, aber auch Männern zu zeigen, was sie in dem Bereich, der sehr große Zukunftsmöglichkeiten bietet, machen können. 85 Prozent der Beschäftigten in dem Bereich, der mit Digitalisierung zusammenhängt, sind Männer, nur 15 Prozent sind Frauen, das ist natürlich eine große Differenz. Wenn wir junge Leute für diesen Bereich fit machen wollen, müssen wir auch die Genderfrage stellen und überlegen, wie man junge Frauen dazu motivieren kann. Es ist ja nicht so, dass Frauen keinen Zugang zu diesen Bereichen hätten. Deshalb müssen wir gezielt auf Mädchen zugehen.

Revue: Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Vorsitzende der deutschen Kultusministerkonferenz Stefanie Hubig hat kürzlich den Vorschlag gemacht, Mädchen und Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften zumindest zeitlich begrenzt getrennt voneinander zu unterrichten. Damit sollen vor allem die Mädchen gefördert werden, deren Leistungen in diesen Fächern zwar ebenso gut sind, die sich aber oft hinter den Jungen verstecken. Wie finden Sie diesen Vorschlag? Wäre das auch für Luxemburg eine denkbare Maßnahme?

Taina Bofferding: Ich kenne diesen Vorschlag nicht, aber ich halte es eigentlich nicht für vorteilhaft, Mädchen und Jungen zu trennen. Es ist eine Stärke, die wir haben, dass Mädchen und Jungen zusammen lernen können. Das Geschlecht sollte doch keinen Unterschied machen.

Revue: Wenn Sie eine Tochter hätten: Was würden Sie ihr raten in Bezug auf ihre Lebensplanung und ihren Berufswunsch?

Taina Bofferding: Ich lebe in einer Patchworkfamilie, mein Mann hat zwei Töchter. Wir sagen ihnen immer, dass sie machen sollen, wozu sie Lust haben und nicht das, wovon sie meinen, das es von ihnen erwartet wird. Wir sagen ihnen, dass das schönste Geschenk, das sie sich selbst bei der Berufswahl machen können, das ist, etwas zu tun, von dem sie überzeugt sind, dass sie es gerne tun. Sie sollen sich einfach trauen, und wir unterstützen sie dabei.

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